Das Mutterschutzgesetz von 2018 zielt darauf ab, dass sich Schwangerschaft bzw. der Wunsch zu stillen und Berufstätigkeit nicht von vornherein ausschließen. Bei der konkreten Umsetzung der mutterschutzrechtlichen Vorgaben auf betrieblicher Ebene tun sich jedoch erhebliche Lücken auf. Das legen die Ergebnisse der DGB-Studie zur betrieblichen Umsetzung des Mutterschutzes nahe.
Die Befragung zeigt sehr deutlich: Die Probleme, die sich vielen erwerbstätigen Frauen ab der Schwangerschaft im Betrieb oder in der Dienststelle in den Weg stellen, lassen sich nicht wegdiskutieren. Schwangere und stillende Frauen können ihre gesetzlichen Rechte viel zu häufig noch nicht automatisch und selbstverständlich in Anspruch nehmen, ohne im Betrieb auf Überraschung, Ignoranz oder betriebliche Gegenerwartungen zu stoßen – bis hin zu der Einstellung, sie sollten „freiwillig“ auf ihnen zustehende Schutzrechte verzichten. Zu viele schwangere und stillende Frauen erfahren zudem Nachteile in ihren Erwerbsbiografien, obwohl das neue Mutterschutzgesetz Schwangeren und stillenden Arbeitnehmerinnen deutlich mehr Schutz bieten sollte als es in der vor 2018 geltenden Fassung der Fall war. Durch die Novellierung entspricht es viel stärker als früher dem zeitgemäßen Leitbild einer gleichberechtigten Erwerbsbeteiligung von Frauen. Es zielt stärker als zuvor (gleichermaßen) auf den Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind wie auch auf die berufliche Teilhabe der Frauen ab. Die Gestaltungspflichten der Arbeitgeber*innen haben deutlich an Stellenwert gewonnen, weil sie nun unmittelbar im Gesetzestext verankert sind: Arbeitgeber*innen müssen den Arbeitsplatz schwangerer oder stillender Frauen so einrichten, dass sich Schwangerschaft, Stillwunsch und Berufstätigkeit nicht von vornherein ausschließen.
Dennoch werden schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen in der Arbeitswelt auch heute noch als Abweichung von der Norm, als Ausnahmeereignis, wahrgenommen. Dabei wird aufgrund der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen Schwangerschaft in Zukunft noch viel häufiger ein Teil der Arbeitswelt sein. Allein schon aus diesem Grund müssen Schwangerschaft und Geburt zur gelebten Normalität im Betriebsalltag werden, die von den betrieblichen Verantwortungsträger*innen entlang der Vorgaben des Mutterschutzgesetzes gestaltet und von allen betrieblichen Akteur*innen wohlwollend begleitet und unterstützt wird. Die Unternehmen müssen diese Lebensphase noch viel stärker als bisher als einen ganz selbstverständlichen Teil in der Biografie ihrer Beschäftigten akzeptieren (lernen). Die Betriebskultur muss sich für solche Phasen mit körperlichen/seelischen Veränderungen im Leben von Frauen öffnen, sie wertschätzen und souverän begleiten.
Damit künftig zwischen Anspruch und Wirklichkeit keine Lücke mehr klafft, müssen die Aufsichtsbehörden durch angemessene Personalausstattung schnell in die Lage versetzt werden, die diskriminierungsfreie Umsetzung in Betrieben und Dienststellen wirksam zu kontrollieren.
Zentrale Ergebnisse der Studie sind:
- Die Betriebe sind gesetzlich verpflichtet, für den Arbeitsplatz jeder schwangeren Beschäftigten eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Aber: Bei mehr als jeder dritten Schwangeren wird dies ignoriert (35 Prozent), elf Prozent der Befragten wissen nicht einmal, ob die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde. Nur bei einer knappen Mehrheit der Befragten wurden seitens des Arbeitgebers Schutzmaßnahmen ergriffen (54 Prozent). Anders ausgedrückt: Eins der zentralen Instrumente des Arbeitsschutzes funktioniert auch in der praktischen Umsetzung des Mutterschutzes nicht.
- Bedenklich sind die Belastungen aufgrund langer Arbeitszeiten: Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der befragten Frauen leistet während der Schwangerschaft wiederholt Mehrarbeit oder überschreitet die Tageshöchstarbeitszeit (55 Prozent). Von jeder achten Befragten (12 Prozent) wurden die Mehrarbeit unfreiwillig erbracht und durch den Arbeitgeber „erwartet“. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wiederholt auftretende lange Arbeitszeiten unter schwangeren Frauen eher die Norm als die Ausnahme darstellen.
- Defizite bei Schutzmaßnahmen: 20 Prozent der Befragten sagen, die Pausenzeiten konnten nicht eingehalten werden, 53 Prozent stand kein Ruheraum zur Verfügung, 30 Prozent konnten sich in den Arbeitspausen nicht hinsetzen oder hinlegen und ausruhen. Dabei gibt es dazu eindeutige Vorschriften.
- Eine Schwangerschaft führt häufig zu einem Bruch in der Erwerbsbiographie und scheint immer noch eins der wesentlichsten Karrierehemmnisse für Frauen zu sein: Mehr als ein Viertel der Befragten (28 Prozent) berichtet von langfristigen beruflichen Nachteilen aufgrund ihrer Schwangerschaft. Unter ihnen beklagen zwei Drittel, dass die Schwangerschaft ihre berufliche Weiterentwicklung verzögert oder blockiert hat, bei fast der Hälfte von ihnen haben sich anstehende Karriereschritte verzögert oder wurden vollständig blockiert.
Aus den Ergebnissen ergibt sich: Bei der Umsetzung des Mutterschutzes in Betrieben und Dienststellen ist noch viel Luft nach oben, insbesondere müssen
- Arbeitgeber*innen als Normadressat*innen des Mutterschutzgesetzes wirksamer in die Pflicht genommen und stärker kontrolliert werden. Aufsichtsbehörden müssen durch angemessene Personalausstattung schnell in die Lage versetzt werden, die diskriminierungsfreie Umsetzung des Mutterschutzgesetzes in Betrieben und Dienststellen wirksam zu kontrollieren.
- Die im Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichten arbeitszeitlichen Gestaltungsmöglichkeiten dürfen die gesetzlichen Vorgaben nicht aushebeln. Das gelingt nur mit zuverlässig funktionierender Aufsicht und Kontrolle sowie mit verlässlichen, kollektiven Regelwerken auf betrieblicher Ebene, die die schwangeren/stillenden Frauen vor betrieblichem Druck und erzwungener „Freiwilligkeit“ schützen und eine Balance auf Augenhöhe zwischen Betrieb/Dienststelle und der Betroffenen garantieren.
- Die Befragung hat nicht nur im Hinblick auf das verpflichtende Gesprächsangebot, sondern auch in Bezug auf Sachkunde, Unterrichtung, weitergehende Informationen und Kommunikationsbereitschaft erhebliche Mängel offengelegt. Aufklärung und vor allem Sensibilisierung für das Thema bei den Normadressat*innen und den betrieblichen Akteur*innen bleiben daher auch vier Jahre nach Inkrafttreten des Mutterschutzgesetzes wichtig.