Von René Schumann
Ob im Einkauf, bei Personalentscheidungen, im Vertrieb oder bei Unternehmensverkäufen: Verhandeln – professionelles, gewinnorientiertes Verhandeln – kommt auf Unternehmer wie auf Unternehmerinnen gleichwohl in vielen Bereichen zu. Der Ausgang der Verhandlung ist dabei in den meisten Fällen immens wichtig, ja, er sichert oftmals sogar den Fortbestand des Unternehmens, sein Wachstum und seine Arbeitsplätze. In vielen Köpfen sind Verhandlungen noch als „Männerdomäne“ etabliert, doch selbstverständlich sitzen auch Frauen mit an den Verhandlungstischen, die Zahl steigt, und professionelles Verhandeln bekommt im Wandel der Zeit ein neues Gesicht.
Statt „Daumenschrauben“, Druck und Erpressung ist Entgegenkommen gefragt: gemeinsame Wege finden, Nischen für beide Seiten nutzen, optimale Lösungen für alle Beteiligten finden. Trotzdem geht es natürlich für die Unternehmen oft um „alles oder nichts“, und geschenkt bekommen die Parteien am Verhandlungstisch von der Gegenseite nichts. Hier punktet, wer mit einem gut strukturierten Plan, mit professionellen Methoden und einer vorab ausgeklügelten Strategie verhandelt. Oftmals scheitern Verhandlungen daran, dass zu viele Emotionen beteiligt sind, die von Euphorie über Angst bis hin zu Frust und Verärgerung reichen. Damit können Verhandlungen nicht erfolgreich verlaufen. Im Gegenteil: Sie enden meist in einer Sackgasse, weil der Verhandlungspartner diese Emotionen spürt und für sich ausnutzen kann. Erfolgreich ist, wer seine Gefühle außen vor lässt und mit kalkuliertem Geschick auftritt.
Frauen ticken anders als Männer bei Verhandlungen
In Verhandlungen „ticken“ Frauen meist anders als Männer. Männer sehen Verhandlungen eher als Wettbewerb oder Spiel, das es persönlich zu gewinnen gilt. Hierbei gehen sie weniger auf die Signale des Gegenübers ein und vertreten ihre hohen Forderungen mit Nachdruck und dem Einsatz disruptiver Taktiken wie Drohungen, Druck und Ultimaten. Frauen hingegen sehen Verhandlungen typischerweise als ein „notwendiges Übel“ an, dem sie keine persönliche Note beimessen. Sie beobachten Verhandlungen aufmerksam, sind aber eher auf einen fairen Kompromiss aus als auf das unbedingte Gewinnen. Sie machen meist vernünftige erste Angebote, die eine sichere Wahl für sich und das Gegenüber ist. Integrität ist ihnen wichtig. Mit dieser Einstellung haben viele Frauen schon von Beginn an einen besseren Ansatz, fair und sachlicher an einen Diskurs heranzugehen. Wenn Männer und Frauen interagieren, tendieren Männer dazu, länger zu sprechen und öfter zu unterbrechen. Während Männer eine direktere Sprache nutzen, ist es bei Frauen eine differenzierte Sprechweise.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Frauen seltener als Männer extreme und konfrontative Positionen in Verhandlungen vertreten. Frauen setzen meist auf kooperative Taktiken und Angebote. Das Verhandeln wird, anders als bei Männern, nicht als Wettbewerb, sondern als gemeinsame Lösungsfindung gesehen. Dies führt auch dazu, dass nonverbale Signale des Gegenübers besser aufgenommen werden und die Evaluation der Verhandlung nüchterner und sachorientierter durchgeführt werden kann.
Auch für die Wahl der Taktik macht es einen Unterschied, ob man beim Verhandeln einem Mann oder einer Frau gegenübersitzt, und zwar auf verschiedenen Ebenen:
- bei den selbst gewählten Taktiken in der Verhandlung: Beispielsweise erwarten Männer oft Zugeständnisse durch Frauen. Dies kann von Unternehmerinnen bewusst genutzt werden, indem sie diese Zugeständnisse betont hervorheben und damit in der Verhandlung Pluspunkte sammeln.
- bei der Bewertung der Gegenseite: Nutzt die Gegenseite bewusst extreme Taktiken oder platziert extreme Forderungen oder ist eher zu erwarten, dass die Gegenseite kompromissbereit ist?
- bei der Wahl der grundsätzlichen Positionierung: Führe ich die Verhandlung als Person oder führe ich die Verhandlung als ein Vertreter meines Unternehmens?
Meist wirkt diejenige Herangehensweise am besten, mit der die Gegenseite am wenigsten rechnet. Dies bedeutet, dass ein selbstbewusstes und dominantes Auftreten durchaus in einigen Fällen förderlich sein kann (Wer unterschätzt wird, ist im Vorteil!). Ist die Gegenseite jedoch bereits auf eine kooperative Herangehensweise eingestellt, kann ein allzu dominanten Auftreten den Verhandlungserfolg stören. Stehen Unternehmen vor der Wahl, wen sie in eine Verhandlung schicken, hängt die Entscheidung oft vom Verhandlungspartner der Gegenseite ab. Männer sind meist energischer in ihren Forderungen, während Frauen die Signale der Gegenseite besser aufnehmen. Hier gilt es im konkreten Fall abzuwägen, was mehr Vorteile verspricht.
Beispiel Vertrieb: Tipps und Tricks im Verhandlungsablauf
Wichtig ist es beispielweise, bereits zu Beginn der Verhandlung die Konsequenzen zu kommunizieren und diese auch umzusetzen: Was passiert, wenn kein gemeinsames Ziel erreicht wird? Dann kann der Verhandlungspartner gegebenenfalls aus dem Vertriebsnetzwerk ausgeschlossen oder das Produkt über einen direkten Wettbewerber exklusiv vertrieben werden.
Die Unternehmerinnen müssen die Ziellücken der Einkäufer genau identifizieren und passgenaue Produkte anbieten: Wie sieht das jetzige Angebot des Händlers aus, was fehlt und könnte zugeliefert werden? Welche Trends bewegen den Endkunden heute und morgen? Auch ein Bündeln von Produktgruppen kann zum Erfolg führen, indem einerseits Produkte angeboten werden, die genau diese definierte Lücke abdecken, und andererseits neue Produkte ergänzt werden, die der Endkunde noch gar nicht braucht.
Indem Unternehmen ein gutes Verhältnis zu den Einkäufern aufbauen, können sie auch die eigene Planung effektiver gestalten und genau das anbieten, was der Händler wirklich benötigt. Damit werden auch Über- und Unterproduktionen, die wichtige Ressourcen wie Material und Kapital binden, vermieden.
Einkauf und Vertrieb: Gemeinsam neue Wege gehen
Gemeinsam statt gegeneinander müssen Wege gefunden werden, die sich nicht nur auf den Preis konzentrieren, sondern auch Marktfaktoren und „Nischen“ einbeziehen, die andere potenzielle Zulieferer nicht bedienen. Das gezielte Einsetzen von Taktiken und sogenannten „Behavioral Effects“ muss geplant, geübt und zielgerichtet erfolgen. So kann vor allem eine Kooperation mit den Einkäufern gewinnbringend sein, beispielsweise im Food-Sektor:
Was brauchen große Discounter wie Aldi, Lidl & Co.?
Worauf konzentrieren sie sich?
Wie gehen sie mit der Krise um und wie halten sie ihre Kunden?
Wenn die Unternehmen hier geschickt den jeweiligen Bedarf erkennen und dem Einkäufer präzise die Vorteile aufzeigen können, liegen sie im Wettbewerb eine Nasenlänge vorn. Mitgestaltungsmöglichkeiten für den Händler, der Vorreiter bei neuen Produkten sein, Lieferengpässe durch gemeinsames Planen vermeiden und exklusive Verträge abschließen sind nur einige davon. Den Standpunkt des Einkäufers verstehen führt zu besseren Ergebnissen, da das schlussendliche Produkt gemeinsam erarbeitet wird.
Auch das gezielte „Schenken“ gehört zu diesen taktisch klugen Behavioral Effects: Beispielsweise kann eine kostenlose Lieferung dem Einkäufer als Pluspunkt erscheinen, auch wenn dadurch der Produktpreis ein wenig höher ausfällt. Außerdem kann in den Verhandlungen betont werden, dass nur noch wenige Produkte auf Lager sind oder dass gemeinsame Interessen – nämlich der zufriedene Endkunde – im Vordergrund stehen. Die jeweiligen Angebote sollten so unkompliziert wie möglich sein und sich auf einfach zu bewertende Attribute konzentrieren.
René Schumann ist seit 2018 Geschäftsführer und Gründer von Kerkhoff Negotiations (KN). Das Düsseldorfer Unternehmen ist darauf spezialisiert, für seine Kunden schwierige Verhandlungssituationen mit bestmöglichem Ergebnis zu lösen. Schumanns Steckenpferd ist das Verhandeln von komplexen, schwierigen und strategisch wichtigen Situationen. In den letzten 15 Jahren hat er sich zum Ziel gesetzt, Verhandlungen zu systematisieren und damit das Ergebnis für seine Kunden zu maximieren.